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1. Familie


Mathias Kneißl wurde am 12. Mai 1875 im Anwesen 19 in Unterweikertshofen, Bezirk Dachau in Oberbayern geboren. Er war das erste eheliche Kind von Mathias und Therese Kneißl. Das Ehepaar hatte insgesamt 11 - zwei uneheliche (Cäcilia 1 und Therese 1) sowie neun eheliche – Kinder, wovon jedoch mindestens fünf, Therese, Mathias 1, Aloisius, Augustin und Ludwig bereits im Säuglingsalter verstarben. Das Schicksal der ältesten, unehelich geborenen, Schwester Cäcilia ist ungewiß, da ein Ablebensvermerk im Meldebogen fehlt. Jedoch dürfte auch sie sehr früh (vor 1879) verstorben sein, da die am 21.November 1879 geborene Tochter wieder den Namen Cäcilia erhielt. Mathias war das erste Kind welches überlebte. Er wurde auf den Namen seines verstorbenen Bruders getauft.


Meldebogen der Familie Kneißl, Hausname Pascolini, in Unterweikertshofen Nr. 19 (1) (6)


Das Ehepaar Kneißl betrieb das Gasthaus „Zum Kneißl“ – den „Oberwirt“ in Unterweikertshofen welches Therese Kneißl von ihren Eltern dem Ehepaar Alois und Klara Pascolini, übernommen hatte. Sein Vater stammte aus Randelsried und war vor der Einheirat in die Wirtschaft als Müller und Schreinergehilfe tätig.


Geburtshaus des Mathias Kneißl
und ehemaliger „Oberwirt“ in Unterweikertshofen (1)


Das Regiment im Hause Kneißl führte aber eindeutig die als ebenso stimmgewaltig wie resolut beschriebene Mutter, die nach ihrem Mädchennamen so genannte, „Paschkalini-Res“. Die Gastwirtschaft war die einzige Einnahmequelle der Familie Kneißl. Das Auskommen war jedoch äußerst gering. Das lag zum einen an dem Umstand, daß Unterweikertshofen zu dieser Zeit ein sehr kleines Dorf mit geringer Einwohnerzahl war und der Gang ins Wirtshaus zur damaligen Zeit, wenn überhaupt, dann nur am Sonntag getätigt wurde. Zum anderen gab es als direkte Konkurrenz ein zweites Wirtshaus im Ort, den „Unterwirt“. Dieser war mindestens seit 1744 der traditionelle Wirt im Ort und lag günstiger als der am Ortsrand gelegene „Oberwirt“. Daher waren die Unterweikertshofner als Gäste beim „Oberwirt“ eher selten gesehen, vielmehr lockte dieser im laufe der Jahre immer mehr zwielichtige Gestalten an. Es häuften sich die Gerüchte, dass dort mehr oder weniger offen mit Diebesgut und Gewildertem Handel getrieben wurde. Zum Schluß soll der einzige Unterweikertshofner der regelmäßig zum Oberwirt ging, der Dorfgendarm gewesen sein. Die Eltern von Therese, das Ehepaar Pascolini, genoß Ansehen im Ort. Dieses Ansehen hat das Ehepaar Kneißl schnell verspielt. In der Wirtschaft wurde die ganze Woche über geschachert, getrunken und der musikalisch begabte Mathias hat schon als 8jähriger Bub auf Wunsch in der Gaststube mit der Ziehharmonika aufgespielt. Dies ist durch Aufzeichnungen seines Lehrers Jakob Hindinger aus dem Jahre 1883/84 während der Schulzeit des Mathias in Unterweikertshofen belegt:


Junge Musikanten – alte Bettler. Versteht jetzt schon die Harmonika besser zu handhaben als das Lesebuch und spielt zur Belustigung und Vergnügen der Großen auf. Das kann doch gewiss keine gute Erziehung genannt werden

Eintrag des Lehrer Hindinger ins Kassenbuch 1883
(1)



Im Bereich um Unterweikertshofen befanden sich umfangreiche Wald- und Jagdgebiete (die meisten in Besitz des Grafen Hundt). Der Wirtin sagte man nach, dass sie lieber das Jagdgewehr als den Kochlöffel in die Hand nimmt. Die Jagdgewehre sollen offen in der Gaststube gehangen haben. Der kleine Mathias und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Alois wurden schon früh, im Bubenalter, an den Umgang mit der Waffe und an die Jagd herangeführt. In der Schule glänzte Mathias durch schlechte Leistung, welche mehr auf Faulheit als auf Unvermögen zurückzuführen waren. Positive Bestätigung erhält er jedoch durch geschickte Hilfsdienste bei den Schreinerarbeiten seines Vaters sowie durch das Musizieren und das Wildern:


Ein äußerst unwilliger und unfolgsamer Knabe. Zu diesen schönen Eigenschaften seine Mutter aber die Stange hält. Sehr gut wäre es, wenn der Knabe in eine Besserungsanstalt verbracht würde, vielleicht gelänge es noch ihn zu retten (Eine Zuchthauspflanze)

Eintrag des Lehrer Hindinger ins Kassenbuch 1884
(1)



Zu seinem Bruder Alois sei bemerkt, dass dieser geistig etwas zurückgeblieben und zudem extrem kleinwüchsig war. Er war jedoch bereits als Kind äußerst geschickt mit dem Gewehr und ein sehr versierter und präziser Schütze. Dadurch kompensierte er seine geistigen und körperliche Defizite. Seine Schiesskünste waren seine einzigen Erfolgserlebnisse im Leben. Da ihm jedoch erkennbar jegliche Steuerungsmechanismen für einen halbwegs verantwortungsvollen Umgang mit der Waffe fehlten und er auf Führung von außen angewiesen war, war dies eine verhängnisvolle Mischung.


Ein halb blödsinniger Schüler.

Lehrer Wagner in Sulzemoos über den 10jährigen Alois Kneißl (1)



2. Kindheit – Jugend - Schachermühle

1886 veräußerten die Kneißls die Gastwirtschaft in Unterweikertshofen und erwarben für 9.800 Reichsmark die zum Kauf stehende Schachermühle. Diese lag einsam und abgelegen zwischen der Ortschaft Sulzemoos und dem Weiler Altstetten. Gründe hierfür gab es mehrere. Zum einen haben die Kneißls durch ihre Umtriebe mit der dörflichen Wertvorstellung in Unterweikertshofen gebrochen. Zum anderen rückten ihnen vermutlich die Forstleute des Grafen Hundt immer weiter auf den Leib. Dies war unter anderem dem streng durchgreifenden neuen Förster Ruppert Schmid, welcher 1882 vom Grafen eingestellt wurde, zuzurechnen. Die Schachermühle dagegen gehörte zum Gutsbereich des Baron von Schaezler, dessen Forstleute die Kneißls und ihre Vorlieben noch nicht so gut kannten. Außerdem reichte der Wald bis direkt an die Mühle heran, was ein sicheres Verbringen von gewildertem Gut in die Mühle erleichterte.



Die Gemeinde Sulzemoos erhielt am 27. Dezember 1893 ein Diplom vom landwirtschaftlichen Verein von Oberbayern zur Erinnerung und als Anerkennung ihrer Verdienste durch den Abbruch der Schachermühle, sowie durch Regulierung des Steindl- und Kuchenbaches und der Kultivierung der anliegenden gänzlich versumpften Grundstücke. Auf der Rückseite dieses Diploms befindet sich diese schlecht erhaltene Skizze der Schachermühle eines unbekanten Malers.(11)


Die Mühle selbst warf wenig ab. Das zur Mühle gehörige Ackerland war zu feucht und der Ertrag reichte nicht einmal für die Familie Kneißl selbst. Auch die in der Mühle nebenbei betriebene Gästebewirtung warf nicht viel ab. Mathias Vater arbeite daher nebenbei als Schreiner und Wagner und genoss diesbezüglich, aufgrund solider Arbeit die er auf diesem Gebiet ablieferte, einen guten Ruf. Er arbeite dabei in der Regel vor Ort auf den Bauernhöfen. Die Bauern selbst brachten jedoch kaum Getreide zum Mahlen zur Mühle. Auch das Gut von Baron von Schaezler erteilte weder dem Müller noch dem Schreiner und Wagner Kneißl Aufträge. Da sich kaum fremde Personen auf die einsam gelegenen Schachermühle verirrten blieb dort die Heimlichkeit gewahrt und bald gab es wieder, wie in Unterweikertshofen, Gerüchte über zwielichtige Gestalten und zweifelhafte Geschäfte auf der Schachermühle.

Mathias Kneißl ging von nun an (ab 12. April 1986) mit seinen schulpflichtigen Geschwistern in die Schule in Sulzemoos. 1891 musste der mit 16 Jahren jetzt strafmündige Mathias eine dreitägige Haftstrafe wegen Schuleschwänzens absitzen, da er der Sonntagsschule fernblieb.

Das kriminelle Kaliber der Besucher der Schachermühle nahm zwischenzeitlich stark zu. So gab es ca. fünf Jahre nach dem Einzug der Kneißls eine Durchsuchung der Schachermühle nach einem hochkarätigen Straftäter. Gendarmen von vier umliegenden Gendarmeriestationen wurden zusammengezogen um die Schachermühle in den frühen Morgenstunden abzuriegeln. Der Hofhund der Kneißls vereitelte das Unterfangen, so dass der Gesuchte, welcher tatsächlich in der Mühle nächtigte, vor dem Zugriff ohne sich noch Anzuziehen aus seinem Versteck kam und im Wald verschwand.(1)

Im Sommer 1892 wurde die Wallfahrtskirche „Unseres Herrn Ruhe“, auch „Herrgottsruh“ genannt, bei Friedberg aufgebrochen und ausgeplündert.


Wahlfahrtskirche Herrgottsruh (10)


Bald schon wurde der alte Kneißl des Kirchenraubes verdächtigt, denn die Kirche war nicht allzu weit von der Schachermühle entfernt und seit der Tat ließ sich der alte Kneißl, der sonst immer und überall seine Arbeitsdienste anbot nicht mehr sehen, sondern schlich sich nur noch Nachts in die Schachermühle. Da ein Zusammenhang nahe lag wurden die Kneißls nun von den Odelzhausener Gendarmen beobachtet. Tatsächlich fuhr Therese Kneißl ein paar Tage später mit dem Pferdewagen nach München. Dabei wurde sie von den Gendarmen nicht mehr aus den Augen gelassen. Sie fuhr tatsächlich zum Haus eines stadtbekannten Hehlers. Nachdem sie das Haus wieder verlassen hatte wurde dieses von den Gendarmen durchsucht und es wurden tatsächlich Beutestücke aus Herrgottsruh aufgefunden. Aufgrund dieser Beweise wollte man in der Nacht zum 28. August 1892 den alten Kneißl festnehmen. Bei der versuchten Flucht stürzte der 55 jährige in den Mühlbach und verletzte sich schwer. Er konnte jedoch vom Gendarm Buchberger noch lebend aus dem selbigen gezogen werden. Er wurde gefesselt und auf seinen eigenen Wagen gehoben. Seine Tochter Katharina musste ihn nach Dachau ins Gefängnis fahren. Auf der Fahrt nach Dachau klagte er nach Angaben der Gendarmen bereits über Unwohlsein. In Dachau wurde er vom Wagen gehoben wobei er über heftige Leibschmerzen klagte. Auf der Gefängnistreppe brach er zusammen und verstarb.
Katharina gab an, dass ihr Vater von den Gendarmen geschlagen und gestoßen wurde, worauf er verstarb. Der Mühlgraben ist an der Stelle des Sturzes durchaus tief genug um sich nicht unerhebliche Verletzungen zuzuziehen. Zusammen mit möglichen Schlägen könnte dies durchaus zum Tod geführt haben. Eine Obduktion hätte die genaue Todesursache klären können. Diese wurde aus nicht bekannten Gründen jedoch nicht durchgeführt. Ob der Tod nun durch Schläge oder durch den Sturz in den Mühlbach eingetreten ist, liegt im Dunkeln. Die genaue Ursache seines Todes ist nicht mehr zu klären. Die Aussage der Katharina schürte den Haß der Kneißls auf die Polizei. Nach einer erfolglosen Durchsuchung der Schachermühle nach der restlichen Tatbeute wurde Therese Kneißl wieder überwacht und bei einer weiteren Fahrt nach München, um weitere Teile der Beute zu Geld zu machen, festgenommen. Sie wurde daraufhin wegen Hehlerei zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Der Vater war tot, die Mutter war für zwei Jahre im Gefängnis. Das eigentlich zuständige Bezirksamt in Dachau kümmerte sich jedoch nicht um die vier minderjährigen, nun allein in der Schachermühle lebenden, Kneißlkinder, welche komplett auf sich alleine gestellt waren und zunehmend „verwilderten“. Zu Hause kümmerte sich nun die 16 Jährige Katharina um ihre zwei kleinen Schwestern und bekochte die beiden Buben mit dem von ihnen geschossenen Wild. Sie versuchte immer wieder die beiden Buben von den illegalen Machenschaften abzubringen. Jedoch ohne Erfolg. Besonders der 15 jährige, von der Größe als gerade mal Tischhoch beschriebene, Alois wurde immer, wilder und unzügelbarer. Durch sein aggressives Verhalten, seine Schießfertigkeit und der rigorosen Bereitschaft von der Schusswaffe gebrauch zu machen führte er bald das Wort in der Schachermühle. Er hatte in dem 17 jährigen Joseph Schreck und dem 22 Jährigen Johann Schlumbrecht zwei Verbündete gefunden. Jedoch hielt sich Schlumbrecht, auf bitten Katharina in die er sich verliebt hatte, ebenso wie Mathias, zurück.

Hauptsächlich gingen Alois Kneißl und Joseph Schreck auf Raubzüge in die Umgebung. Alois entwickelten sich durch sein unberechenbares, nicht gerade von Intelligenz gezeichnetes Verhalten und durch seinen rücksichtslosen Umgang mit der Schusswaffe bald zum Schrecken der ganzen Gegend:


Freitag, 14.Oktober 1892:
Alois Kneißl und Joseph Schreck entwendeten und töteten in Grubhof unweit der Schachermühle dem Bauer Haas ein Mutterschaf.

Montag, 24.Oktober 1892:
Alois Kneißl und Joseph Schreck stahlen in Eisenhofen Obst. Als die Gütlersfrau Kreszenz Strobl die beiden verjagen wollte schoß Alois mit einem Revolver aus 60 Schritt Entfernung auf die Frau, traf sie jedoch nicht. Am selben Nachmittag schoß er noch im benachbarten Hörgenbach auf den Gütlerssohn Johann Kornprobst wegen eines Streites. Am Abend des selben Tages entwendeten Beide beim Wirt in Rottbach Kleider, Uhrketten und andere Wertgegenstände welche gleich veräußert wurden.

Sonntag, 30. Oktober 1892:
Einbruch in das Anwesen des Bauern Groß in Prack, Gemeinde Rottbach während des Kirchgangs. Die beiden entwendeten Wertgegenstände und zwei Jagdgewehre. Alois Keißl drang ein, Joseph Schreck hielt mit der Waffe Wache. Als der Knecht vorzeitig nach Hause kam verjagte ihn Schreck mit einem Schrotschuß.

Montag, 31. Oktober 1892:
Beim Wildern in der Nähe der Schachermühle trafen die Beiden zufällig auf zwei Mägde des Bauern Schwegler von Altstetten und Alois Kneißl kündigte diesen an, morgen an Allerheiligen auf den Bauern zu schießen.

Dienstag, 01. November 1892 (Allerheiligen):
Tatsächlich schießt Alois Kneißl auf den Bauern durch das offenen Fenster. Verfehlt seinen Kopf aber knapp.



Mathias Kneißl war bei diesen Aktionen allerdings nur teilweise beteiligt als er zum Beispiel das entwendete Schaf in der Schachermühle ausweidete. Am 2. November 1892 kamen der Gendarmeriekommandant von Odelzhausen Baltasar Göswein und der Gendarm Georg Förtsch aufgrund Anzeige des Sulzemooser Pfarrers Johann Baptist Endl zur Schachermühle um Alois und Mathias abzuholen weil sie die Sonntagsschule schwänzten. Die beiden wussten zwar dass die Burschen noch mehr auf dem Kerbholz hatten, aber konkret lag diesbezüglich zu diesem Zeitpunkt nichts vor. Gößwein musste die Buben schon öfters abholen und in die Schule bringen und näherten sich deshalb arglos der Mühle. Sie nahmen ihre Gewehre in die Hand und betraten die Mühle worauf sofort von oben zwei Schüsse fielen. Der erste traf Förtsch in die linke Hand und der zweite in die Ohrmuschel. Er konnte noch einen Schuß nach oben abgeben. Worauf es ruhig wurde. Gößwein legte gut sichtbar das Gewehr nieder und ging langsam auf die Treppe zu während er beschwichtigend auf die Buben einredete. Dabei schoß Alois auf ihn und traf ihn in den Unterleib worauf er schwer verletzt zu Boden ging. Schreck stürmte mit Alois auf Gößwein zu und wollte ihn ganz erschießen. Jedoch konnte Katharina, welche mit Johann Schlumbrecht aus der Wohnstube kam schlimmeres Verhindern.


Den erschieß ich gleich ganz, hin müssen sie sein, die grünen Hunde

Joseph Schreck, als er den verwundeten Gößwein erschießen wollte
(1)



Zwischenzeitlich kam auch Mathias Kneißl herunter und die Drei packten Proviant und Munition ein und flüchteten. Katharina Kneißl und Johann Schlumbrecht verbrachten den schwer verletzten Gößwein sowie Förtsch auf den Pferdewagen zum Arzt nach Odelzhausen.

Die Flucht endete für Alois Kneißl am nächsten Tag in der Früh als er und Joseph Schreck von dem Gütler Rottenfußer in Ziegelstadel schlafend in einer Scheune entdeckt wurden. Rottenfußer hielt Alois Kneißl fest bis die Gendarmen kamen. Joseph Schreck konnte fliehen wurde aber einige Tage später ebenfalls gefasst. Mathias Kneißl konnte am 18. November 1892 in der Nähe der Schacherrmühle von den Gendarmen Windisch, Troll und Morgenroth gefasst werden. Er hielt sich während der über zweiwöchigen Flucht immer in der Nähe der Schachermühle auf.

Der Gendarmeriekommandant Gößwein überlebte, blieb jedoch dienstunfähig.


3. Prozess – Gefängnis – München – Arbeitssuche - Rückfall

Am 23.Juni 1893 kam es in München zum Prozess gegen Alois und Mathias Kneißl, Joseph Schreck und Johann Schlumbrecht.

Alois Kneißl und Joseph Schreck gestanden die drei Schüsse auf die Gendarmen abgegeben zu haben. Das Gericht ließ auch keinen Zweifel, dass es sich bei Alois um den Haupttäter handelte. Alois wurde wegen Mordversuch, schwerer Körperverletzung, schwerem Diebstahl, Raub, räuberischem Diebstahl, Jagdvergehen sowie Übertretung des verbotenen Waffentragens zu einer 15 jährigen Gefängnisstrafe verurteilt und starb am 03. Juli 1897 an Schwindsucht in der JVA Laufen. Ein voriges Gnadengesuch seiner Mutter wurde abgelehnt.

Josef Schreck wurde wegen Mordversuch, schwerem Diebstahl, schwerem Raubes, räuberischem Diebstahl und Jagdvergehen zu 12 Jahre und 9 Monate verurteilt. Er wurde am 16. August 1904 vorzeitig entlassen, musste dann aber nach einer erneuten Straftat die Reststrafe absitzen. Nach seiner Entlassung am 12. Juni 1907 gelang ihm die Rückkehr in ein bürgerliche Leben. Er starb 1958 in Rain am Lech. (1)

Der 22 Jährige Johann Schlumbrecht bekam 2 Jahre Zuchthaus. (1)

Trotz der Geständnisse von Alois Kneißl und Joseph Schreck, dass sie alleinig geschossen haben wurde auch Mathias Kneißl wegen Mordversuch, schwerem Diebstahl, Raub, Hehlerei, Bedrohung und einem Jagdvergehen zu 7Jahre Gefängnis verurteilt. Mathias Kneißl empfand das Urteil als äußerst ungerecht. (1)

Er trat seine Haft in Nürnberg an und wurde dann nach Amberg verlegt. Während seiner Haftzeit in Amberg absolvierte er eine Schreinerlehre welche er als Geselle abschloß. Zum Ende der Haft wurde auch er krank. Nach seiner Haftentlassung am 28.02.1899 zog er krank und geschwächt, jedoch mit dem Vorsatz ab sofort ins bürgerliche Leben zurückzukehren, zu seiner Mutter nach München. Diese ist seit ihrer Haftentlassung mit den drei Töchtern in München in der Erzgiesereistraße 4 wohnhaft, wo sie als Hausmädchen angestellt war. Die Mutter pflegte ihn wieder gesund. Nachdem er wieder genesen war suchte er sich eine Stellung als Schreiner. Diese musste er jedoch wieder aufgeben, da er aufgrund seiner Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe ein zweijähriges Aufenthaltsverbot für München erhielt.

In dieser Zeit lernte er die 18 jährige Wäscherin Mathilde Danner kennen. Sie war die Tochter seiner Cousine Mathilde Lorenz. Beide verliebten sich und träumten gemeinsam von einer Zukunft in Amerika. Mathilde hatte kein Problem mit Mathias’ Vergangenheit , da der Mann ihrer Mutter, Franz Xaver Lorenz ebenfalls vorbestraft war und auch ein Aufenthaltsverbot für München hatte.

Er erfuhr von einem Schreinermeister namens Christoph in Nußdorf am Inn welcher tolerant sein soll und radelte umgehend dort hin um sich vorzustellen. Er machte von vorn herein keinen Hehl aus seiner Vergangenheit. Er wurde eingestellt und leistete gute Arbeit. Jedoch holte ihn seine Vergangenheit wieder ein. Der Gendarm von Nußdorf erhielt Nachricht aus München über Mathias Kneißl, seine Vergangenheit und den Auftrag ein Auge auf ihn zu haben. Der Gendarm kam dieser Aufgabe eifrig nach und verbreite überall, die Vergangenheit des Kneißls. Daraus folgte, dass die Auftragszahlen des Schreiner Christoph zurückgingen, weil die Leute nichts mit einem Zuchthäusler zu tun haben wollten. Somit blieb Christoph nichts anderes übrig als Mathias Kneißl wieder zu entlassen, obwohl er mit dessen Arbeit voll zufrieden war.

Daraufhin erhielt er eine Anstellung in Allach (damals noch eigenständige Gemeinde) Auch diese Anstellung verlor er aufgrund seiner Vergangenheit wieder. Er fand eine kurze Anstellung in Randelsried, dem Heimatort seines Vaters. Als er jedoch auch diese Stelle verlor hatte er kein Bleiberecht mehr in Randelsried und ihm blieb nichts anderes übrig, als trotz Aufenthaltsverbot bei seiner Mutter in München unterzukriechen. Die allgemeine wirtschaftliche Situation wurde immer schlechter und so wurde es immer schwerer Arbeit zu finden, erst recht für einen ehemaligen Häftling.

Eines Tages lernte er bei einem Besuch bei seiner Mutter einen Mann namens Erhard Holzleitner kennen. Dieser wollte Mathias Kneißl für ein „sicheres Ding“ in Niederbayern gewinnen. Zum Kneißl kam er auf Vorschlag des Franz Xaver Lorenz, sagte er. Mathias Kneißl wollte aber nicht mehr rückfällig werden. Er versuchte nochmals Arbeit bei Schreinereien im Bezirk Dachau zu bekommen. Als auch dieser Versuch fehlschlug ging er schließlich auf das Angebot Holzleitners ein. Durch die Aussicht auf vierzig bis fünfzigtausend Mark welche lt. Holzleitner in einem Pfarrhof nördlich von Freising zu holen seien, ließ er sich schließlich überreden und holte den alten Drilling seines Vaters, welcher immer noch bei der Mutter im Schrank stand. Mit dieser Beute währe die Überfahrt für ihn und Mathilde nach Amerika gesichert.

Beim Auskundschaften des betreffenden Pfarrhofes stellten Holzleitner und Kneißl fest, dass man nur durch Anwendung von Gewalt an die Beute kam. Sie ließen von dem Überfall ab. Vor Gericht sagte Kneißl später aus, dass Holzleitner die Aktion mit Gewalt durchziehen wollte, er ihn jedoch abgehalten hat. Am nächsten Tag kamen sie nach Oberbirnbach in der Hallertau. Dort gaben sie sich als Hopfenhändler aus Franken aus und kundschafteten so aus, auf welchen Hof das meiste zu holen ist. Somit kamen sie auf den Hof von Lorenz Scheuerer. Mittags war ihnen allerdings zu viel Gesinde auf dem Hof, worauf sie später als die Bäuerin alleine war, wiederkehrten. Nach Angaben der Bäuerin Ottilie Scheuerer hatte sie der Holzleitner mit einem Dolch und einem Revolver bedroht und die Schränke durchwühlt, bis er schließlich zwei Pfandbriefe im Wert von 500 und 2000 Mark fand. Kneißl hielt währenddessen Wache. Anschließend sperrten sie die Bäuerin in den Keller und fuhren am folgenden Tag mit dem Zug nach Maisach. Dort machten sie die Pfandbriefe zu Geld und Kneißl kehrte schließlich mit einem Anteil von 500 Mark nach München zurück.


4. Fahndung

Durch Zufall kam die Polizei auf Mathias Kneißl als einen der Täter von Oberbirnbach. Bei einer Razzia im Rotlichtmilieu, welche im Rahmen von Ermittlungen eines Prostituiertenmordes durchgeführt wurden, ging den Beamten am 29. Oktober 1900 Erhard Holzleitner ins Netz, welcher in diesen Kreisen verkehrte. Da dieser für den Mordzeitpunkt kein Alibi vorweisen konnte trat er die Flucht nach vorne an und gestand zum Tatzeitpunkt zusammen mit Mathias Kneißl den Überfall in Oberbirnbach begangen zu haben. Aufgrund dieser Aussage Holzleitners, in der er Kneißl schwer belastete, wurde auf Mathias Kneißl die hohe Belohnung von 400 Mark ausgesetzt. Das entsprach immerhin etwa drei Monatsgehälter eines Arbeiters zur damaligen Zeit (Eine Maß Bier kostete damals zum Beispiel 13 Pfennige).

Aufgrund der hohen Belohnung wurde es Mathias Kneißl in München zu heiß und er kehrte in den Bezirk Dachau zurück, dort wo er sich auskannte, in den Wäldern zwischen Altomünster und Nannhofen. Hier kannte er jeden Schlupfwinkel und jeden noch so kleinen Weg. Hier bewegte er sich überwiegend mit dem Fahrrad. Er hatte hier sogar an drei verschiedenen Orten Fahrräder deponiert.

In dieser Gegend brauchte er auch keine große Angst haben, da er hier keine Straftaten verübte und die Gütler und Taglöhner nicht behelligte. Die Obrigkeit in Form der Gendarmerie war bei diesem Personenkreis auch nicht sehr beliebt.

Am 26.November 1900 stahl er in Paar, Bezirk Aichach, aus einem Hühnerstall mehrere Hühner. Als er vom Hofhund bemerkt wurde erschoß er diesen mit dem Drilling. Durch den Schuß wurden Gäste im nahegelegenen Wirtshaus auf Kneißl aufmerksam und setzten ihm nach. Einer, Joseph Seitz, kam ihm dabei sehr nahe, worauf ihm Kneißl einen Schrotschuß ins linke Knie versetzte. Kneißl konnte mit dem Fahrrad fliehen. Von nun an musste er allerdings noch vorsichtiger sein und konnte sich nur noch an absolut vertrauenswürdige Personen wenden, von denen er wusste, dass sie mit der Gendarmerie nichts zu tun haben wollten.

Die Fahndung wurde intensiviert. Der November war mild und Kneißl mit dem Fahrrad äußerst mobil und beweglich. Damit war er gegenüber den Landgendarmen erheblich im Vorteil. Denen war nämlich aus Spargründen im Dienst die Benützung von Fahrrädern (und Revolvern) verboten. Im Innenministerium unter Leitung von Innenminister Max Freiherr von Feilitzsch war man der Meinung dass die Gendarmen bei Bedarf für die Verfolgung jederzeit ein Pferdefuhrwerk oder eine Kutsche von einem Bauern oder Gütler requirieren konnte. Das brachte wiederum eine Vorteil für Kneißl, da seine Sympathie bei diesem Berufsstand eher stieg während die Obrigkeit durch solche Beschlagnahmeaktionen von Fuhrwerken (meist währende der Arbeit) im Ansehen der Bevölkerung immer weiter sank.

Je länger die Suche dauerte, desto größer wurde das Interesse der Öffentlichkeit und der Presse. Der Druck auf die Obrigkeit und die Gendarmen stieg. Und mit jedem Misserfolg stieg auch der Spott den die Gendarmen ertragen mussten. Am meisten Aufsehen erregte die Postkartenindustrie welche eine ganze Reihe von Spottpostkarten über die erfolglose Kneißljagd auf den Markt warfen. Die Presse ihrerseits griff jeden kleinsten flüchtenden Schwarzfahrer als „flüchtenden Kneißl“ auf.

Die Verbindung nach München ließ Mathias Kneißl zu dieser Zeit nie abreißen. Als Übermittler und Boten diente ihm sein Vetter Johann Vöst aus Unterschweinbach sowie der Gütler Johann Eigenhart aus Pitschertshofen.


5. Irchenbrunn

Am Abend des 30. November wandte sich Mathias Kneißl an den ihm schon von früher bekannten Michael Rieger „Flecklbauer“ in Irchenbrunn.


Postkarte: Flecklbauernanwesen in Irchenbrunn mit Bildnis Michael Rieger (5)


Der Rieger war früher hie und da auf der Schachermühle aufgekreuzt. Ihm glaubte er vertrauen zu können, da dieser die Polizei hasste. Er bekam erst vor kurzem vom Altomünsterer Gendarmeriekommandanten Brandmeier eine Strafe wegen Beamtenbeleidigung. Er passte ihm vor dem Wirtshaus ab als dieser Austreten musste und gab ihm Geld, um im aus der Wirtschaft etwas zu essen und zu trinken zu holen. Michael Rieger holte zwei Maß Bier, Würste und Geselchtes. Anschließend gingen beide zum Flecklbauern. Vorher hatte Rieger jedoch in der Wirtschaft noch seinen Knecht Michael Griesser beauftragt, die Gendarmerie in Altomünster zu verständigen. Griesser nahm noch den 17 jährigen Dienstknecht Dominikus Rösele mit. In der Stube vom Fleckerlbauern machte Kneißl gegen neun Uhr abends Brotzeit, trank aber kaum vom Bier – lt. Feststellung des Amtsrichter Förtsch aus Aichach kaum einen halben Liter. Seinen Drilling ließ er nicht aus der Hand. Gegen 11 Uhr abends kamen die beiden Knechte dann zusammen mit dem Gendarmeriekommandanten Benedikt Brandmaier , dem königlichen Gendarm Wolfgang Scheidler sowie weiteren vier Burschen, welche sie unterwegs in Oberzeitelbach aufgegabelt haben zum Flecklbauerhaus. Brandmeier klopfte an der Haustür, während Scheidler zusammen mit einem Burschen an der Hintertüre wartete. Nach dem Klopfen versteckte sich Kneißl in der Küche. Als er durch den Türspalt Brandmeier auf sich zukommen sah schob er den Gewehrlauf durch den Türspalt und den Aussagen nach, nach unten in Richtung Brandmeier. Die Schrotkugeln prallten vom Boden ab und zerfetzten die Oberschenkelarterie Brandmeiers, worauf dieser verblutete. Daraufhin schoß Scheidler auf Kneißl, verfehlte seine Kopf jedoch knapp. Jetzt schoß Kneißl auf Scheidler und traf ihn am Bein. Das Bein musste amputiert werden und Scheidler starb am 19. Dezember in Folge der Amputation an einer Lungenentzündung.


Stationskommandant Brandmeier (5) Gendarm Scheidler (5)


Bis zu diesem Zeitpunkt war die Fahndung nach Kneißl nur ein amüsantes Kuriosum, weil dieser den Gendarmen immer wieder entkam. Doch nun hatte Mathias Kneißl zwei Polizistenmorde begangen. Die Folge war eine Erhöhung der Belohnung auf seine Ergreifung durch den Untersuchungsrichter beim königlichen Landgericht Augsburg auf 1000 Mark.

Der Haftbefehl wurde am 01. Dezember 1900 erlassen.



Haftbefehl (3)


Eine Großfahndung setzte ein.

Das Wetter blieb in der ersten Zeit nach den Schüssen von Irchenbrunn auf Mathias Kneißls Seite. Es war einer der mildeste Dezember des letzten Jahrhunderts.

Kneißl versteckte sich in den ersten Dezembertagen wegen heftigen Regens eine Woche bei dem Gütler Franz Hofer, genannt „Parsol-Franzl“. Zu dieser Zeit war ein Polizeiaufgebot von 204 Mann hinter ihm her. Die örtlichen Gendarmeriestationen wurden dabei von der Münchner Stadtpolizei unterstützt.

Von der Polizei- und den Justizbehörden wurde ein gemeinsamer Nachrichtendienst eingerichtet. Prinzregent Luitpold ließ sich ab Dezember täglich über die eingeleiteten Maßnahmen und die Fahndung unterrichten. Der Druck auf die Gendarmerie stieg, durch die Obrigkeit, die Presse und die (schadenfrohe) Bevölkerung. Bis Anfang Januar hielt sich Kneißl in der Gegend um Sulzemoos auf und wechselte dann in den Aufkirchner Raum, wo er sich die letzten zwei Monate seiner Flucht bei zuverlässigen Freunden aufhielt, da ab 8. Februar der Winter mit Schneehöhen von über 30 cm begann. Mit dem Fahrrad war kein Durchkommen mehr.


6. Festnahme (5)

Am 20.Februar 1901 wurde Franz Xaver Lorenz wegen Bannbruch (verbotswidriger Aufenthalt in München) verhaftet. Dieser gab an, dass seine Ehefrau Mathilde Lorenz Angaben über den Kneißl und seine Komplizen machen könne. Dies wurde dem Sicherheitskommissär Josef Bossert mitgeteilt. Dieser wusste dass Mathilde Lorenz eine Cousine von Mathias Kneißl und ihre Tochter seine Geliebte war. Er lud selbige vor. Diese machte keine langen Umschweife und gab an, dass der Weg zu Kneißl über Johann Vöst führt. Sie traf sich am Sonntag den 24. Februar mit Vöst, damit Bossert ihn in Augenschein nehmen konnte. Bei diesem Treffen teilte Vöst der Danner mit, dass er nächsten Samstag, 2. März, abends 8.55 Uhr zu Kneißl fahren werde. Außerdem habe Kneißl den Wunsch geäußert dass auch Mathilde mitfahren solle.

Bossert war sich sicher dass sich Kneißl in einer Ortschaft ca. eine ¾ Stunde von Maisach bzw. Nannhofen entfernt aufhält. Er vermutete, dass Aufkirchen oder ein in unmittelbarer nähe gelegenes Gehöft der Ort sein könnte. Am 27. Februar besahen sich Bossert und Kriminalwachtmeister Renner das besagte Gebiet.

Am Abend des 2. März, um 09.52 Uhr, trafen trafen Johann Vöst, Mathilde Lorenz und Mathilde Danner auf dem Bahnhof in Nannhofen ein. Dort wartete bereits Bossert um den Dreien zu folgen. Lorenz markierte dazu den Weg


Mit Frau Lorenz hatte ich vereinbart, dass sie vom Bahnhof Nannhofen weg an geeigneten Stellen, Kreuzungen z. z. Orangenschalen werfen solle, um mir bei dem coupierten und waldigen Terrain meine Verfolgung zu erleichtern – Lorenz warf noch hinzu Confetti –

Josef Bossert, Sicherheitskommissar
(7)



Bossert brach aber die Verfolgung ab, da bei mondheller Nacht die Gefahr zu groß war entdeckt zu werden. Allerdings wurden alle relevanten Orte u.a. das von Bossert als „mutmaßlicher Zusammenkunftsort“ benannte Anwesen des Boten Johann Eigenhart in Pischertshofen von Gendarmen auf das sorgfältigste überwacht. Tatsächlich wurden von den Gendarmen an diesem Anwesen “gegen 1/2 11 Uhr eine Mannsperson und 2 Frauenspersonen“ gesehen wie sie auf das Anwesen zugingen und dort warteten worauf kurze Zeit darauf eine Mannsperson aus dem Anwesen kam, sich hinzugesellte und alle 4 Personen Richtung Unterschweinbach gingen.


Die Lage war für mich ziemlich klar, die aus dem Anwesen des „Eigenhart“ herausgekommene Person war Kneißl; Eigenhart der bis jetzt in der ganzen Gemeinde und auch bei dem Stationskommandanten Abt Achtung und Vertrauen genoß, war der Unterschlupfgeber.

Josef Bossert, Sicherheitskommissar
(7)



Am Sonntag, den 3. März wollte sich Bossert mit Lorenz in Nannhofen treffen. Lorenz erschien jedoch nicht. Bossert fuhr nach München um seine Behörde zu unterrichten und forderte die zu diesem Zweck bereitgehaltene Schutzmannschaft an. Auch wurden noch weitere Gendarmeriemannschaften angefordert.

Am Montag, den 04. März trafen die ersten zwei Mann aus Mering ein. Diese meldeten unterwegs einen gewissen Johann Vöst, eine Frau Lorenz und eine Mathilde Danner kontrolliert zu haben. Bossert ließ Vöst und Lorenz am Bahnhof in Nannhofen festnehmen und sich gegen 1/2 7 Uhr vorführen.


Frau Lorenz welche ich auf die Seite nahm, gab mir nun an, dass sich Kneißl mit aller Bestimmtheit im Anwesen No. 8 in dem ca. 15 Minuten nur durch einen Bergrücken getrennten Gehöft Geisenhofen aufhalte.

Unverzüglich ließ ich das ganze Aufgebot von Manschaften zusammenziehen, dirigierte dasselbe im Laufschritt nach Geisenhofen, ich selbst nah mit Frau Lorenz auf dem Lotzbeck’schen Wagen Platz, besetzte denselben mit einer Anzahl in meiner Nähe befindlichen Gendarmen und Schutzleuten und im Trabe und Galopp fuhr ich querfeldein Geisenhofen zu, welches ich nach wenigen Minuten erreichte.

Josef Bossert, Sicherheitskommissar
(7)



Bei dem Gehöft handelte es sich um das von Märkl gepachtete Aumacheranwesen. Das Anwesen wurde von den Stationskommandanten Abt, Brand und Hupp geführten Mannschaften umstellt.



Aumacheranwesen, Geisenhofen No. 8 - mit Ermittlungsgruppe im Vordergrund (5)



„Nach systematisch vollzogener Eruirung“ ließ Bossert nach Märkl rufen. Zuerst kam Märkls Ehefrau, diese leugnete den Kneißl zu kennen. Ebenso leugnete der nachher kommende Märkl. Beide wurde getrennt. Da gab die Frau an, dass Kneißl im Anwesen sei. Dort sei er mit einem Drilling bewaffnet in den Stadel gelaufen, wo er sich immer noch aufhalten müsste.


Es war Montag den 4. März, früh 3/4 7 Uhr, als für mich die Einschließung Kneißl’s feststand.

Josef Bossert, Sicherheitskommissar
(7)



Bossert telegrafierte dies nach München und forderte Verstärkung und einen Arzt an. Welche im Laufe des Nachmittags eintrafen. Die Nacht über tat sich nichts

Am Dienstag, 5. März in der Früh machten sich Stimmen in den Mannschaften breit, dass Kneißl gar nicht im Anwesen sei. Damit die Mannschaften nicht demoralisiert wurden, musste Bossert handeln.


Weder der Bürgermeister von Geisenhofen noch sonst jemand, auch nicht die Frau Märkl war zu bewegen in das Haus zu gehen und Kneißl zur Übergabe aufzufordern und so mußte das defensive Verhalten des Kneißl als ausgesprochener Widerstand angesehen werden, der noch dadurch eine ganz bestimmte Schärfe erhielt, als Kneißl seine Quartiergebern, wie auch anderen Personen gegenüber äußerte, dass er von so vielen Gendarmen noch das Leben fordern werde, so viel er Kugeln habe, und die letzte Kugel gehöre ihm. Wer zweifelt an der Wahrheit dieser Außerungen bei den berüchtigten Thaten Kneißls’? Niemand!

Josef Bossert, Sicherheitskommissar
(7)



Aushungern kam nicht in Frage, da nicht bekannt war, wie viel Proviant Kneißl im Anwesen hatte. Kneißl kam freiwillig nicht heraus.


Es galt also moralisch auf Kneißl zu wirken, ihn mürbe zu machen und so kamen die Herrn Offiziere zu dem Entschluß, den Stadel eine Zeit lang zu beschießen.

Josef Bossert, Sicherheitskommissär
(7)



Da jedoch nach ½ stündiger Beschießung der Scheune kein Resultat erzielt wurde, also wurde beschlossen nunmehr von dem Wohnhaus aus in die Scheune zu schießen als letztes Mittel um den Kneißl vielleicht doch zum Verlassen desselben zu zwingen.

Seufferheld, Polizeihauptmann
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Dazu wollte man die Bretterwand welche das Wohnhaus vom Stadel trennte „mittelst einiger Beilhiebe“ entfernen.


Zu diesem Zwecke wurde eine Abteilung von 36 Freiwilligen /: Schutzmänner und Gendarmen :/ zusammengestellt, wovon 4 Mann mit Hacken zum Durchschlagen der mehrgenannten Bretterwand ausgerüstet wurden.

Seufferheld, Polizeihauptmann
(8)



Als die Gendarmen und Schutzmänner im ersten Stock die Bretterwand durchschlagen wollten, bemerkten sie in der selben Kammer „hinter dem schräg ablaufenden Kamine“ den sich dort versteckt haltenden Kneißl.


Nach Meldung der Schutzmänner Kleylein und Schalk soll Kneißl sofort zwei Revolverschüsse abgefeuert haben, worauf beide nach demselben geschossen haben und einer von ihnen – vermutlich Schalk mit einer Revolverkugel den Kneißl derart am Unterleib verletzte, dass er zusammenbrach.

Seufferheld, Polizeihauptmann
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Nach Angabe Seufferhelds fielen 4 – 5 Schüsse. Kneißl wurde daraufhin überwältigt und in ein angrenzendes Zimmer geschleppt, „woselbst er einer näheren Leibesvisitation unterzogen wurde“. Anschließend wurde er in die Wohnküche des benachbarte Anwesens des Bauern Mösl verbracht. Dort wurde er durch den anwesenden polizeilichen Physikats - Assistenten (Polizeiarzt) Dr. Falk erstbehandelt. Danach verbrachte ihn Bossert und Renner mit einem vom Bürgermeister von Geisenhofen zur Verfügung gestellten Leiterwagen auf Stroh gebettet in vorsichtiger Fahrt zur Bahnstation nach Nannhofen und von dort mit der Bahn nach München.




„Komme mit dem schwer verletzten Kneißl 12.41 in München an, bitte freiwillige Sanitätskolone an den Bahnhof zur Verbringung des Kneissl in die Chirurgische Klinik

Telegramm von Sicherheitskommissar Bossert vom 05.03.1901, 11.40 Uhr, “
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7. Krankenhausaufenthalt

Am 5. März 1901, um 12.44 Uhr kam der Zug aus Nannhofen mit Kneißl am Hauptbahnhof an. Kneißl wurde umgehend in die Chirurgische Klinik verbracht. Dort wurden durch den Arzt Dr. Heinrich Brauser folgende Verletzungen festgestellt.


1. Schuß durch das linke Handgelenk. Die Kugel lag unter der Haut. 2. Schuß in den rechten Vorderarm. 3. Schuß durch den rechten Oberarm. 4. Schuß in die rechte Bauchseite. Dieser war der schwerste. Er ging durch die Beckenschaufel und durch die Gesäßmuskulatur. Die Kugel lag nahe der Haut auf der anderen Seite. 5. Hautabschürfungen an der Kopfseite. Spuren von Misshandlungen, wie blaue Flecken, wurden hier keine wahrgenommen.

Bericht Dr. Brausers über Kneißls Verletzungen
(1)



Da der Bauchschuß als lebensgefährlich angesehen wurde, wurde der Chefarzt und Leibarzt des Prinzregenten Professor Ottmar Ritter von Angerer hinzugezogen. Er war einer der führenden Bauchchirurgen der damaligen Zeit. Geschwächt von der Operation infizierte sich die Wunde am Gesäß und begann zu eitern. Daraus ergab sich ein rund viermonatiger Klinikaufenthalt. Danach war Kneißls Genesung so weit fortgeschritten, dass einer Verlegung nach Augsburg nichts mehr im Wege stand, wo sein Prozess stattfinden sollte.

Während seines Klinikaufenthaltes besuchten ihn seine Mutter und seine Schwestern so oft sie von der Polizei die Erlaubnis erhielten. Außerdem war Mathias Kneißl in München ein Sensation, dass er von vielen Damen Blumensträuße geschickt bekam. Sein Krankenzimmer voll davon.


8. Der Prozess

Der Prozess begann am Donnerstag, 14. November 1901 unter großem Publikumsandrang in Augsburg. Vorsitzender Richter war Oberlandesgerichtsrat Rebholz. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Farnbacher. Die Verteidigung vertrat Walter von Pannwitz. Kneißl selbst erschien in einem neuen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Mitangeklagt war Michael Rieger.




Im laufe der vier Verhandlungstage hegte Richter Rebholz zunehmend Zweifel an dem Vorwurf des Mordes. Da auch aufgrund von Zeugenaussagen festzustehen schien, dass Kneißl in Irchenbrunn nicht gezielt auf die Gendarmen geschossen habe. Kneißl selbst gab auf die Frage hin an, warum er nicht aus dem Flecklbauernanwesen geflohen sei, als es klopfte:


Weil ich meinte, dass es nur Bauernburschen sind, vor denen ich mich leicht verstecken kann. Aber derweil sah ich zwei Gendarmen an der Thüre, als ich mich versteckte. Ich hab’ sie gar nicht gehen hören, ich glaube, sie müssen auf den Zehen gegangen sein zu mir. Da hab’ ich mir gedacht, schießt’ einmal blind hinaus, dass sie sich nicht hereintrauen. Und wie ich schieß’, da müssen sie gerade an meine Tür gekommen sein und ich hab’ den einen getroffen. Dann hat der andere an mir vorbeigeschossen und mir grad am Ohr vorbeigeschossen. Da bin ich erschrocken und habe in meiner Angst sofort losgeschossen, ohne lang zu zielen.

Aussage Mathias Kneißl vor Gericht (1)



Im laufe des Prozesses gelang es dem Staatsanwalt jedoch die 12 Geschworenen auf seine Seite zu ziehen. Schlussendliche sprachen sie Michael Rieger frei und Mathias Kneißl des Mordes für schuldig. Rebholz musste nun Michael Rieger freisprechen und über Mathias Kneißl das Todesurteil verhängen.

Rebholz selbst kam im laufe der Verhandlung zu der Erkenntnis, dass Kneißl die beiden Gendarmen nicht mit Vorsatz erschossen hatte und somit lag kein Mord sondern Todschlag vor. Als Richter musste er sich jedoch an die Entscheidung der Geschworenen halten. Selbst plagte ihn jedoch das Gewissen. Daher appellierte Rebholz in einem privaten Brief an den Bayerischen Justizminister Freiherr Leopold von Leonrod:


Der Fall Kneißl ist bis zur Schlussakte gediehen. Wenn ich mich nun auch mit diesem Falle nicht mehr dienstlich befassen kann, so fühle ich mich doch in meinem Gewissen gedrungen, an Euere Excellenz die ehrerbietigste Bitte zu stellen, mir wenigstens außerdienstlich auch einige Augenblicke Ihre Aufmerksamkeit schenken.

Zu diesem allerdings außergewöhnlichen Schritte fühle ich mich durch einen schweren Gewissenskonflikt genötigt. Der Gedanke, dass einem Angeklagten, mag er auch absolut keine Sympathie verdienen, nach meiner Überzeugung Unrecht geschehen ist, hat mir die Ruhe geraubt. Würde ich in einer solchen Sache, wo es sich um Leben und Tod handelt, meiner Überzeugung freimütigen zu geben unterlassen, so würde ich des quälenden Gedanken an ein nie mehr gutzumachendes Versäumnis mein Leben lang nicht los werden. Um aus diesem Dilemma einen Ausweg zu finden, ist mir nur die eine Möglichkeit offen gestanden, mich vertrauensvoll an Eure Excellenz als den berufenen Schützer und Wahrer des Rechts zu wenden.

Ich bin weit entfernt, das Gewicht und die Bedeutung des Wahrspruchs der Geschworenen, welche die Frage auf Mord an Brandmeier bejahten, zu unterschätzen. Gleichwohl steht in mir die Überzeugung fest, dass die Geschworenen in diesem Punkte einem Irrtum unterlegen sind.

Oberlandesgerichtsrat Rebholz an Justizminister Freiherr Leopold von Leonrod
(1)



Der Appell Rebholz’ blieb ohne Gehör. Ebenso wie ein Gnadengesuch Kneißls an den Prinzregenten. Luitpold lehnte das Gnadengesuch ab.


9. Die Hinrichtung

Die Hinrichtung wurde auf Freitag, 21. Februar 1902, 7.00 Uhr festgesetzt. Durchgeführt werden soll sie von dem einzigen bayerischen Nachrichter, wie der Scharfrichter damals genannt wurde, Franz Xaver Reichhart. Die Guillotine wurde dafür mit dem Zug von München nach Augsburg gebracht.



Nachrichter Franz Xaver Reichhart (Mitte) mit Gehilfen vor der Guillotine



Mathias Kneißl aß am Vorabend seiner Hinrichtung als letzte Mahlzeit Schweinebraten mit Knödel und trank dazu drei Liter Bier. Er schrieb noch Briefe u.a. an seinen Arzt Dr. Heinrich Brauser in dem er sich bedankte, dass dieser ihm das Leben gerettet hatte, an seine Mutter und Schwestern und an seinen Lehrer:




Augsburg, den 20.2.1902

Hochverehrter Herr Lehrer!
Schmerzliche erinnerungen drängen mich, Ihnen meinen aufrichtigsten Dank, für alle hinopfernde Mühe deren Sie sich während der Jahre meines Schulbesuches, für mich unterzogen haben, auszusprechen. Ich glaube bei meiner Bitte um Ihr Gebet, auf geneigte Erhöhrung rechnen zu dürfen. Unser lieber Gott wird gewiß Sie und Ihre werthe Familie reichlich segnen, wen Sie diesem meinem Herzenswunsch entsprechen.
Mit dem Gefühl aufrichtigster Verehrung bin ich Ihr dankbarer Schüler

Mathias Kneißl.

Abschiedsbrief Mathias Kneißl an seinen Lehrer
(1)



Anschließend legte er sich kurz nach Mitternacht auf sein Bett und schlief ein paar Stunden fest und ruhig.

Die Hinrichtung durch Enthaupten wurde am Freitag, den 21. Februar 1902, in der Früh, genau drei Minuten nach Sieben, im Gefängnishof des Landgerichtsgefängnisses in Augsburg durch den Nachrichter Franz Xaver Reichhart und seinen beiden Gehilfen vollzogen.

Kneißl selbst war bei seiner Hinrichtung gefasst und ruhig.

Nach der Enthauptung stach Landgerichtsarzt Dr. Utz, dem Kopflosen Leichnam mehrmals mit einer großen Nadel in den großen Zeh und stellte seinen Tod fest.



Die offizielle Todesmeldung des Standesamtes Augsburg
für die Heimatgemeinde Unterweikertshofen (1) (6)



Der Sarg mit Kneißls Überresten verließ um 07:06 Uhr den Gefängnishof und man brachte ihn zur Beisetzung auf den katholischen Friedhof nach Augsburg. Seine Mutter hatte den Leichnam von der zuständigen königlichen Behörde für 60 Mark von der Anatomie freigekauft. .

Am Friedhof herrschte großer Andrang. Der Friedhof musste von der Polizei vor den Schaulustigen abgeriegelt werden.

Der Flecklbauer, Michael Rieger, wollte der Hinrichtung beiwohnen, wurde jedoch nicht zugelassen. Er hatte Postkarten drucken lassen, die Mathias Kneißl auf dem Schafott mit seinem Kopf unter dem Arm zeigten wie er sich mit Handschlag von den Gendarmen verabschiedete. Nun versuchte er die Karten vor dem Friedhof zu verkaufen.
Rieger selbst verstarb noch im selben Jahr, am 13. September, 51 jährig an einem schweren Herzleiden.

Therese Kneißl lebte noch ca. 30 Jahre mit ihren beiden Töchtern Cäcilie und Therese in Schwabing.

Das Grab Mathias Kneißls wurde nach ihrem Tod eingeebnet. Der Schädel Mathias Kneißls wurde nachmodelliert und wurde in der Anatomie in München aufbewahrt. Er ist seit einem Bombenangriff 1944 verschollen.

Die Schachermühle wurde bereits am 1. Dezember 1892 von der Gemeinde Sulzemoos gekauft. Damit sich das geschehene nicht wiederholt, wurde das Inventar des Anwesens am 12. Dezember 1892 verkauft und das Gebäude anschließend abgebrochen, das Abbruchmaterial am 13. Februar 1893 verkauft und das Grundstück am 24. April 1893 zum Verkauf freigegeben. (11)



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Quellenverzeichnis

(1) Martin A. Klaus - Der Räuber Kneißl – Leben, Tod und Erhöhung des Schachermüller-Hiasl – Ein bayerischer Sündenfall, Buchendorfer Verlag München, 2000
(2) Norbert Göttler - Die Sozialgeschichte des Bezirkes Dachau 1870 bis 1920, Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, 1988
(3) Staatsarchiv München
(4) Stadtarchiv Dachau
(5) Fahndungsakt FHVR FFB
(6) Gemeinde Erdweg
(7) Festnahmebericht Sicherheitskommissär Josef Bossert
(8) Festnahmebericht Hauptmann Seufferheld
(9) Bavaria, Land und Leute im 19. Jahrhundert, Joseph Friedrich Lentner
(10) Wikipedia
(11) http://www.vg-odelzhausen.de/sulzem/agenda/geschichtesulzemoos/bauten/ schachenmuehle.htm
(12) Josef Scheidl, Dachau Wanderungen im altbayerischen Bauernland, München 1926, 2. Auflage
(13) Amperbote, Dachau